Heir Apparent – die Thronfolger. Genau das sind sie gewesen. Die Thronfolger auf den verwaisten Thron des völlig eigenständigen melodischen Power Metal. 

1984 wurde die Band in Seattle gegründet und spielte in der Besetzung Terry Gorle (g), Paul Davidson (v),  Derek Peace (bs) und Jim Kovach (dr) ein 5-Track-Demo ein, welches überall auf grandiose Reviews traf, so auch im Rock Hard, wo man in Nr. 11 lesen konnte „wer auf hochklassigen HM wie etwa Leatherwolf steht, der sollte zuschlagen.“ Innerhalb Washingtons tourte die Band dann mit Culprit (kennt die noch jemand? „The Player“ und so...hach ja....) und erntete überall positive Kritiken, die auch dem französischen Label Black Dragon nicht verborgen blieben, die Heir Apparent unter Vertrag nahmen und somit neben der Speed-Legende Savage Grace ein weiteres heißes Eisen im Feuer der Mitt-80er hatten. Kurz vor den Aufnahmen zur mit Spannung erwarteten LP wurde mit Raymond Black noch ein neuer Drummer verpflichtet und ab ging´s ins Studio. 

1986 war es dann endlich so weit: „Graceful Inheritance“ stand in den Läden und ich las die erste 10-Punkte-Höchstnoten-Kritik, seit ich das Rock Hard kannte: „...der qualitätsbewußte US-Hardrock/Metal-Fan MUSS diese Platte einfach besitzen....wer kann schon ein Debut ohne echte Schwachpunkte nachweisen?“ Insgesamt 3 x gab´s die Höchstnote und 2 x die 9,5 und das trieb mich automatisch in die Läden, wo ich mir sofort ein Exemplar dieser Wahnsinnsscheibe gesichert habe. Und was soll ich sagen, auf „GI“ wurden einige der besten Metal-Songs aller Zeiten verewigt! Das beginnt beim durch das Intro „Entrance“ eingeleitete, vollkommen fantastischen „Another candle“: Was für ein Song. Paul Davidson brilliert mit seiner klaren, mittelhohen Stimme und Melodien gibt es, daß man schier in den Wahnsinn getrieben wird; dazu kommen die wahnsinnigen Riffs und Soli von Terry Gorle, die stets für die nötige Härte sorgen und zugleich perfekt mit dem melodischen Gesang harmonieren. Power und Aggressivität in perfekter Verbindung!!! „The Servant“ folgt mit durchgetretenem Gaspedal, eine Granate erster Güte, bevor mit „Tear down the walls“ ein Song des Demos folgt, langsam eingeleitet und unvergleichlich genial. „Running from the thunder“ ist ebenso genial, ein Midtempo-Song im typischen Heir Apparent-Stil, den man kaum beschreiben kann, sondern gehört haben muß!!! Mit „Nightmare“ gibt´s noch einen speedigen Titel, „R.I.P.“ wurde als Instrumental live eingespielt und verweist gekonnt auf die technischen Fähigkeiten der Jungs. Völlig genial sind auch „Dragon´s Lair“ und „Masters of invasion“. ihr seht schon, ich finde alles auf dieser Platte genial und dennoch gibt es einen Song, der noch ein klein wenig mehr aus den meilenweit in den Metal-Himmel ragenden Material herausschaut: „Keeper of the reign“! Solch einen Titel schreibt man nur ein einziges Mal im Leben: Langsam eingeleitet steigert er sich zu gnadenloser Härte, fällt mit majestätischer Leichtigkeit wieder ins ?alladeske zurück (hört euch an dieser Stelle den Chorgesang an, der ist für alle Zeiten unsterblich!!!), bevor wenig später die Post ab-, daß einem Hören und Sehen vergeht, G.E.N.I.A.L. und absoluter K.U.L.T.!!!!! Wer „Keeper of the reign“ nicht kennt und sich HM-Fan schimpft, sollte sich schämen und seine peinliche Wissenslücke schnellstens beheben, hier wurde Geschichte gemacht! Und dann noch der Rauswerfer „A.N.D....Drogro lived on“, was für ein Riff, mir fallen keine Superlativen mehr ein. „Rise!“ heißt es am Ende des Songs und der Platte, bevor dieses Meisterwerk mit einem kurzen Riffstakkato beendet wird. Ihr merkt schon, die Superlativen sprudelten nur so aus mir raus, okay, nicht ALLE Songs sind genial, aber die meisten, und die, die genial sind, sind es dermaßen, daß die Platte wie eine Rakete in den Himmel schoß, wo am gleißenden Metal-Firmament 1986 bereits Fifth Angel, Leatherwolf, Omen, Agent Steel und Savage Grace, Metal Church und Fates Warning warteten. 

Und damit ihr nicht denkt, ich hab´ sie nicht mehr alle, nachfolgend der Giants Lore-Nachfolger und, aus heutiger Sicht, -Vorläufer, Experiment IV: „Allein diese sanften, melodischen Vocals...und die wunderschönen...Gitarren, harmonisch abgerundet von Bass und Drums...man könnte jedesmal wieder ins Schwärmen geraten, bei den auf ein originelles Intro folgenden 12 Kompositionen, die sich im Bereich des melodischen Powermetals bewegen....eine der wunderbarsten Platten der letzten Jahre...ein zeitloses, musikalisches Meisterwerk.“ Da habt ihr´s. 

Wenn ich mich vom PC wegdrehe, fällt mein Blick auf einen eingeschweißten Backstage-Paß, auf dem nicht nur „US-Speed+Power-Tour ´86“, sondern auch die Schriftzüge von Savage Grace und Heir Apparent verewigt wurden, jawohl, die Götterbands gingen zusammen auf Tour und wir waren da!!! Wir wurden Zeugen eines beeindruckenden Auftritts von Heir Apparent in der RoFa LB und sahen zu, wie die Jungs danach ihr Equipment selbst (!) wieder abbauen mußten; im Anschluß führte mich ein Vertreter von Black Dragon in einen Raum, wo ich Terry Gorle zu einem Interview traf. Es sollte das beste, ausführlichste und ehrlichste Gespräch werden, das ich in den 12 Jahren Mortal Sin je machen durfte: Es hatte irgendwie geklickt, wir verstanden uns prima und lange nachdem ich das Aufnahmegerät abgeschaltet hatte, saßen wir noch da und unterhielten uns über alles mögliche, über Politik und Musik, über Fanzines, die Szene, über Familie und Beziehungen, über Dinge, über die man normalerweise nur mit einem Freund oder guten Bekannten spricht, es war fantastisch und ich bin heute noch dankbar dafür, Terry Gorle getroffen zu haben. Das Interview erschien im August ´96 in Mortal Sin Nr. 3  und konnte nur einen Bruchteil unserer Unterhaltung, eben nur den offiziellen, musikalischen Teil wiedergeben. Die Band war ein wenig enttäuscht über die schwachen Besucherzahlen (wir auch), meiner Meinung nach lag das an der gleichzeitig laufenden Fußball-WM und auch daran, daß man kaum irgendwo was über die Tour im Vorfeld lesen konnte. Ende 1986 wurde der Band dann auch noch Equipment im Wert von 10.000,--US$ gestohlen, alles Anzeichen für das, was folgen sollte, denn vom Glück waren die Jungs eigentlich nie sonderlich begünstigt. 

Die Saat war bestellt und mit ihrer zweiten Platte sollten die Jungs die verdiente Ernte einfahren, dessen waren sich alle sicher. Leider kam alles ganz anders und führte zum unwürdigen Ende einer fantastischen Band – zunächst mal gab es ziemlichen Streß mit Black Dragon, mit denen man sich eine Schlammschlacht in der Presse lieferte und sich gegenseitig finanzielle Betrügereien vorwarf, was damit endete, daß man bei Roadrunner landete, was sich als großer Fehler erweisen sollte. Frustriert über die Tatsache, daß man mit dem großartigen Debut nicht über einen Geheimtipstatus hinauskam, ließ  Sänger Paul Davidson die Zügel schleifen und wurde vor die Tür gesetzt, womit die Band einer ihrer absoluten Trademarks beraubt war. In Steve Benito präsentierte man recht schnell einen Nachfolger, der auf der zweiten Scheibe für einen Großteil der Songs verantwortlich zeichnen sollte; dies führte zu internen Problemen, denn der Songwriter der ersten Platte war Terry Gorle und der wollte den Weg des Debuts weiterführen, während sich Drummer Ray ?lack, Basser Derek Peace (verließ die Band nach dem Debut in Richtung Savage Grace und kam rechtzeitig wieder zurück) und der neue Sänger vom kommerzielleren, eingängigeren Material größeren Erfolg versprachen. Wer diesen Machtkampf gewonnen hat, sieht man in der Tatsache, daß man in Michael Jackson (neben dem Satan-Sänger also noch einer mit diesem Namen....) noch einen Keyboarder ins Line-up aufnahm und Terry Gorle überstimmt war. Dieser war im Rock Hard-Interviews (Nr. 22) noch sehr zuversichtlich und verneinte die Frage, ob man nun kommerziellere Wege gehen wolle mit dem Verweis auf neue Songs, die wesentlich härter seien – dabei zählte er Titel auf, von denen es nicht einer auf die LP schaffte...so kam es wie es kommen mußte: Terry Gorle spielte die LP zwar noch ein, hatte aber vor der Veröffentlichung bereits seinen Abschied verkündet und wurde folgerichtig nicht mehr als Bandmitglied auf der Platte geführt – was für ein trauriger Abschied für einen solch begnadeten Gitarristen...In einer weiteren Rock Hard-Ausgabe (man kann Kühnemund & Co. viel vorwerfen, doch Heir Apparent haben sie immer gebracht) war dann ein Interview mit dem völlig frustrierten und enttäuschten Gitarristen zu lesen, der sich fortan ganz aus dem Musikbusiness zurückzog und nie mehr von sich hören ließ. Eine Kontaktaufnahme über die alte Adresse und Telefonnummer unsererseits schlug leider fehl, auch über die Auskunft konnten wir (beinahe logisch) nichts herausbekommen, so daß Terry Gorle für immer in der Anonymität verschwunden bleibt. 

Wie war denn aber nun die zweite Platte? Nun, man kann, man muß sie sogar, von zwei Seiten betrachten: Für mich ist „One small voice“, als Platte für sich alleine betrachtet, immer noch eine sehr gute Scheibe, auch wenn dies alle (alle!) anderen Schreiberlinge anders gesehen und die Platte zerrisen haben. Steve Benito war einer der typischen Sänger, der Geoff Tate ähnelte, was ja kein Nachteil sein muß, hinzu kam die wesentlich melodischere Ausrichtung mit in den Vordergrund grückten Keyboards und kommerzielleren Songs, die sofort ins Ohr gingen, auch wenn der Chorgesang nicht immer gelungen ist. Mit „Crossing the border“ (tolles Solo von Terry Gorle), „Cacophony of anger“, „The fifth season“ (schneller Schlußsong), „We the people“, dem Titelsong oder „Decorated“ (mit sehr guten Lyrics – „You should be decorated, adorned by scarlet bars, a celebrated general to brandish blackened stars, you should be decorated, your ribbons frayed and torn upon your paper pedestal, for the children to adorn“, vorgetragen mit wünderschön-gefühlvoller Stimme) stehen Ausnahmesongs auf „One small voice“, die ich heute mal gerne von einer der vielgepriesenen MTM-Bands hören würde!!! Hinzu kommt eine wie gehabt sehr gute Produktion sowie eine gelungene Coverversion des Simon and Garfunkel-Hits „The sound of silence“, sowie die immer wieder durchscheinende geniale Gitarre. Die andere Seite ist die Tatsache (und da kann ich die Kritiker auch verstehen), daß „One small voice“ eine vollkommen andere Band mit völlig anderer musikalischer Ausrichtung unter altem Namen präsentierte und das konnte nur schiefgehen. Hinzu kommt, daß Roadrunner nichts, absolut gar nichts für die Platte getan haben und sie im Wust der Veröffentlichungen untergingen ließen (da hatte ich seinerzeit erbitterte Debatten mit der damals dort beschäftigten Alexandra Dörrie – he Alexandra, auch wenn Du das hier wohl nie lesen wirst, an dieser Stelle nochmal ein Dankeschön für die jahrelangen guten Kontakte mit einer der ganz ganz wenigen ehrlichen und zuverlässigen Personen in dieser Scheiß-Szene). 

Das Ergebnis war zu erwarten, die Platte lief nicht und schon war die Band ihren Deal wieder los. In der Folgezeit hatte ich über die Fanclub-Adresse riesig netten Briefkontakt mit der Mutter von Drummer Ray Black, die mich sogar zu sich nach Hause einlud, um die Jungs mal persönlich kennenzulernen und die nicht ein schlechtes Wort über Terry Gorle verlor. Doch wie es so kommt, die Zeit schlich ins Land und die Pläne der Band wurden nie umgesetzt, einen neuen Deal gab es nicht und so war das Kapitel Heir Apparent recht bald beendet. Mein Kontakt riß ab, es kamen keine Antworten mehr, die Telefonnummer galt wenig später auch nicht mehr, Heir Apparent waren am Ende und ich für meinen Teil habe nie mehr was von den Jungs gehört oder gelesen. 

Heir Apparent – die Thronfolger. Sie waren es, wenn auch nur für eine viel zu kurze Zeit, bevor sie sich selbst ihrer Chance beraubten, die sie sich mit dem legendären Debut „Graceful Inheritance“  geschaffen hatten. 

Und auch wenn sie den Thron nie bestiegen haben, Songs wie „Keeper of the reign“, „Another candle“ und all die anderen Klassiker sind in den  Herzen derjenigen, die sie kennen, für immer gegenwärtig. 

I miss you guys.... 

Frank